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AI vs. Automation im Enterprise-Kontext: Der Entscheidungsrahmen für DACH-Unternehmen

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In großen Unternehmen ist die Abgrenzung zwischen regelbasierter Automation (z. B. RPA, Workflow-Orchestrierung) und künstlicher Intelligenz (z. B. Machine Learning, GenAI) kein akademisches Detail, sondern ein wirtschaftlicher Hebel. Automation glänzt, wenn klar definierte Regeln, stabile Prozesse und strukturierte Daten vorliegen. KI zahlt sich aus, wenn Variabilität, Unschärfe und unstrukturierte Informationen dominieren. In der Praxis führt jedoch selten ein Entweder-oder zum Optimum. Der höchste Nutzen entsteht häufig durch hybride Muster: KI trifft probabilistische Vorentscheidungen, Automation führt deterministisch aus – mit Menschen in der Schleife, wo es nötig ist.

Im Folgenden erhalten Sie einen Entscheidungsrahmen, praxisnahe Branchenbeispiele für DACH-Märkte, Governance-Checklisten (EU AI Act, ISO/IEC 42001), relevante KPIs sowie eine 90-Tage-Roadmap von Quick Wins bis zur Skalierung. Abschließend adressieren wir typische Fallstricke und zeigen, wie Führung, Change Management und Training nachhaltige Erfolge sichern.

Entscheidungsrahmen: RPA, KI oder Hybrid?

Bewerten Sie pro Use Case die folgenden Kriterien. Ein strukturierter Scoring-Ansatz (z. B. 1–5 je Kriterium) hilft bei der Priorisierung.

  • Datenverfügbarkeit und -qualität
    • Hoch, strukturiert, konsistent: Automation im Vorteil.
    • Unstrukturiert (Texte, Bilder), lückenhaft, mit Rauschen: KI erforderlich, ggf. mit Data-Pipeline und Qualitätskontrollen.
  • Variabilität und Komplexität des Prozesses
    • Geringe Varianten, stabile Regeln, seltene Ausnahmen: RPA/Workflow.
    • Viele Ausnahmen, Kontextabhängigkeit, natürliche Sprache: KI oder Hybrid (KI für Entscheidung, RPA für Ausführung).
  • Regulatorik und Risiko
    • Strenge Aufsicht (z. B. Finanz, Gesundheit), Audit-Pflichten, Nachvollziehbarkeit: Bevorzugt regelbasierte Schritte und KI mit erklärbaren Methoden, Human-in-the-Loop, umfangreiches Logging.
    • EU AI Act Risikoklasse prüfen (siehe Checkliste): Bei potenziell hohem Risiko Governance-Fokus erhöhen, Transparenz und menschliche Aufsicht sicherstellen.
  • ROI und Time-to-Value
    • Schnelle Hebel (Durchlaufzeit, Fehlerreduktion, STP-Rate): RPA liefert oft kurzfristig.
    • Größere Einsparungen/Umsatzhebel durch bessere Entscheidungen (z. B. Prognosen, triagen, Personalisierung): KI rechnet sich mittel- bis langfristig.
  • Änderungsfrequenz und Skalierbarkeit
    • Häufige UI-Änderungen oder volatile Regeln: RPA anfällig – bevorzugen Sie API-first oder KI-gestützte Extraktion mit robusten Validierungen.
    • Skalierung über Länder/Sprachen/Domänen: KI-Modelle mit MLOps und Governance planen.
  • Nachhaltigkeit und Ressourcenverbrauch
    • Geringe Rechenlast, klarer Output: RPA genügt.
    • Rechenintensive KI nur dort einsetzen, wo Mehrwert nachweislich überwiegt; Effizienz (z. B. kleinere Modelle, Prompt-Optimierung) beachten.
  • IT- und Datenlandschaft
    • Saubere Schnittstellen, API-Verfügbarkeit, Datenkataloge: Erleichtert beides.
    • Schatten-IT und Datensilos: Erst Konsolidierung/Integration priorisieren.

Daumenregel:

  • Automation reicht, wenn Sie das gewünschte Ergebnis deterministisch aus bekannten Regeln ableiten können.
  • Echte KI brauchen Sie, wenn Muster aus Daten gelernt werden müssen, Varianz hoch ist oder Sprache/Bild/Sensorik im Spiel sind.
  • Hybrid ist ideal, wenn Entscheidungen probabilistisch sind, die Ausführung aber deterministisch, oder wenn Compliance menschliche Freigaben verlangt.

Hybride Muster: Das Beste aus beiden Welten

  • Human-in-the-Loop (HITL)
    • KI trifft eine Vorentscheidung und liefert Konfidenzen und Begründungen.
    • Schwellenwerte steuern, wann ein Mensch prüft oder freigibt.
    • Automation orchestriert Datenbeschaffung, Übergaben, Protokollierung und die finale Ausführung.
  • KI-gestützte Entscheidungen mit automatisierter Ausführung
    • Beispiel: Ein Klassifikationsmodell triagiert Fälle; Cases mit hoher Sicherheit laufen Straight-Through, der Rest in die Queue für Sachbearbeitende.
  • Automation für KI
    • RPA/Workflows sammeln Trainingsdaten, anonymisieren, labeln und starten Retrainings; MLOps setzt CI/CD, Monitoring und Rollbacks um.
  • KI für Automation
    • GenAI extrahiert Felder aus E-Mails/PDFs; RPA schreibt die Daten in Kernsysteme – mit Validierungen und Backupszenarien.
  • Kontrollpunkte und Guardrails
    • Policy-Checks, Schwellenwerte, Duty Separation, Vier-Augen-Prinzip je nach Risikoklasse.
    • Vollständiges Logging und Erklärungen für Audits.

Branchenbeispiele aus der DACH-Praxis

  • Fertigung: Predictive Maintenance + automatische Instandhaltungsaufträge
    • KI: Aus Sensordaten Ausfallwahrscheinlichkeiten schätzen; Anomalieerkennung; Empfehlung von Wartungsfenstern.
    • Automation: Bei Schwellenwerten automatisch Arbeitsaufträge im EAM/CMMS anlegen, Ersatzteile reservieren, Techniker disponieren.
    • KPIs: OEE, ungeplante Stillstandzeit, First-Time-Fix-Rate, Teileverfügbarkeit.
    • Governance: Datenqualitätssicherung, Sicherheitsfreigaben für Produktionsänderungen, Nachvollziehbarkeit der Auslösegründe.
  • Finanzdienstleister: KYC-Triage + Straight-Through-Processing
    • KI: Dokumenten- und Identitätsprüfung, Risikoklassifizierung von Neukunden, Erkennung potenziell verdächtiger Muster.
    • Automation: STP für Low-Risk-Fälle; für High-Risk-Fälle Ticket-Erstellung, Eskalations-Workflow, lückenloses Logging.
    • KPIs: STP-Rate, Durchlaufzeit, False-Positive-Rate, Cost per Case, Audit-Feststellungen.
    • Governance: EU AI Act Risikobewertung (ggf. hochrisikorelevant), Erklärbarkeit, Qualität der Trainingsdaten, Aufbewahrungspflichten.
  • Gesundheitswesen: Kodierhilfe + automatisierte Abrechnung
    • KI: Vorschlag klinischer Codes aus Arztbriefen/Befunden; Qualitätschecks gegen Codier-Richtlinien.
    • Automation: Automatisierte Erstellung und Einreichung von Abrechnungen; Rückfragen-Workflow mit Ärztinnen/Ärzten.
    • KPIs: Kodiergenauigkeit, Ablehnungsquote der Kostenträger, Days Sales Outstanding, Durchlaufzeit.
    • Governance: Datenschutz (DSGVO), Transparenz gegenüber Fachpersonal, Human-in-the-Loop bei strittigen Fällen.
  • Handel: Absatzprognose + Bestandsdisposition
    • KI: Zeitreihenprognosen auf SKU/Store-Level, Berücksichtigung von Saisonalität, Promo-Effekten und externen Faktoren.
    • Automation: Parameter für Dispositionsläufe setzen, automatische Bestellvorschläge, Lieferantenkommunikation.
    • KPIs: Prognose-MAPE, Out-of-Stock-Rate, Abschriften, Lagerumschlag.
    • Governance: Modell-Drift-Monitoring, Kollaboration mit Einkauf/Category-Management, Nachweisbarkeit von Änderungen.

Governance-Checklisten: EU AI Act und ISO/IEC 42001 im Blick

EU AI Act – zentrale Prüfpunkte

  • Risikoklassifizierung
    • Einordnung nach Verboten, Hochrisiko, begrenztem und minimalem Risiko.
    • Bei Hochrisiko: zusätzliche Anforderungen (z. B. Risiko- und Qualitätsmanagementsysteme, technische Dokumentation, Konformitätsbewertung).
  • Transparenz und Nutzerinformation
    • Kennzeichnung bei KI-Interaktion; für generative Systeme Hinweise auf KI-generierte Inhalte und geeignete Maßnahmen zur Vermeidung von Irreführung.
  • Daten- und Modellgovernance
    • Datenqualität, Repräsentativität, Bias-Prüfungen; Robustheit, Genauigkeit und Cybersicherheit der Modelle.
  • Logging und Nachvollziehbarkeit
    • Lückenlose Protokollierung von Ein- und Ausgaben, Versionen, Entscheidungen und Eingriffen von Menschen.
  • Human Oversight
    • Definierte Rollen, Eingriffsmöglichkeiten, Abbruch- und Eskalationspfade.
  • Post-Market-Monitoring und Vorfallmanagement
    • Laufende Überwachung, Dokumentation wesentlicher Vorfälle, Korrekturmaßnahmen, Feedback in den Verbesserungszyklus.

ISO/IEC 42001 – AI-Managementsystem (AIMS)

  • Geltungsbereich und Policy
    • Dokumentierte AI-Policy, Ziele, Rollen und Verantwortlichkeiten; Verknüpfung mit Unternehmens- und IT-Strategie.
  • Risikomanagement
    • Systematisches Identifizieren, Bewerten und Behandeln von KI-Risiken entlang des Lebenszyklus.
  • Lifecycle- und MLOps-Prozesse
    • Requirements, Datenmanagement, Modellentwicklung, Validierung, Deployment, Monitoring, Change- und Decommissioning-Verfahren.
  • Daten- und Lieferantensteuerung
    • Datenkataloge, Lineage, Zugriffssteuerung; Bewertung und Kontrolle von Drittanbietern/Modellanbietern.
  • Sicherheit, Datenschutz und Compliance
    • DSGVO- und Informationssicherheitskontrollen, DPIAs wo nötig, Rechtekonzepte, Zweckbindung.
  • Kompetenzen und Schulung
    • Rollenbasierte Trainings, Qualifikationspläne, Awareness.
  • Audit und kontinuierliche Verbesserung
    • Interne Audits, Management Reviews, KPI-basiertes Verbesserungsprogramm.

Pragmatischer Governance-Start

  • Verantwortlichkeit klären (Product Owner, Risk Owner, Data Steward).
  • Minimalen Dokumentationssatz definieren (Modellkarte, Datenblatt, Prozessbeschreibung).
  • Logging- und Monitoring-Standards festlegen.
  • Schwellenwerte für HITL und Eskalation formalisieren.
  • Regelmäßige Compliance-Checks in den Delivery-Plan integrieren.

KPIs, die wirklich steuern

Messen Sie sowohl Prozess- als auch Modellleistung, ergänzt um Compliance-Kennzahlen.

  • Durchlaufzeit (Cycle Time): Zeit vom Eingang bis zur Erledigung; Ziel: Reduktion um x%.
  • STP-Rate (Straight-Through-Processing): Anteil automatisch vollständig bearbeiteter Fälle; Zielwerte je Risikoklasse definieren.
  • Ausnahmequote: Anteil Fälle mit menschlichem Eingriff; differenziert nach Grund (Datenqualität, Regelkonflikt, Modellunsicherheit).
  • Modellgüte
    • Klassifikation: AUC, F1, Präzision/Recall; Konfidenzkalibrierung.
    • Prognosen: MAPE, sMAPE, WAPE; Stabilität über Segmente.
    • GenAI: Genauigkeit/Factfulness, Reduktionsquote manueller Nacharbeit.
  • Compliance-Controls
    • Audit-Trail-Vollständigkeit, SLA-Erfüllung bei Logging, Anteil dokumentierter Modelle mit aktueller Modellkarte.
  • Qualität und Kosten
    • First Pass Yield, Fehlerquote/Complaint Rate, Cost per Transaction/Case.
  • Verfügbarkeit und Skalierung
    • System-Uptime, Durchsatz, Latenz; Auto-Recovery-Rate.
  • Adoption und Nutzen
    • Nutzungsraten, NPS/Zufriedenheit der Fachbereiche, realisierte Einsparungen/Umsatzbeiträge vs. Business Case.

90-Tage-Roadmap: Von Quick Wins zur Skalierung

Phase 0–15 Tage: Ausrichtung und Fundamente

  • Business-Ziele und Ziel-KPIs pro Use Case festlegen.
  • Daten- und Prozess-Quick-Assessment, Reifegradbewertung (Automation/KI/Governance).
  • Risiko- und Regulatorik-Screening (EU AI Act Einordnung), definieren von Guardrails.
  • Technische Basis: Zugänge, Umgebungen, Referenzarchitektur, Sicherheits- und Datenschutzfreigaben.

Tag 15–30: Use-Case-Auswahl und Proofs

  • 1–2 Quick-Win-Use-Cases: je ein RPA-/Workflow-Case und ein KI-unterstützter Case.
  • Prozess-Mining/Task-Mining zur Identifikation von Automationspotenzialen.
  • Datenpipeline skizzieren, Basis-Features definieren; für GenAI Prompt-Design und Retrieval-Strategie.
  • KPI-Baselines messen, Erfolgshypothesen schriftlich fixieren.

Tag 30–60: Build und Pilotierung

  • RPA/Workflow: Bots bauen, API-First bevorzugen; robuste Fehlerbehandlung.
  • KI: Modelltrainings/Feinjustierung, Validierung, Konfidenzschwellen; HITL-Design.
  • End-to-End-Orchestrierung, Sicherheits- und Compliance-Tests, Lasttests.
  • Pilotanwender schulen; Playbooks, Runbooks und Modellkarten erstellen.

Tag 60–90: Produktion und Skalierungsvorbereitung

  • Controlled Rollout, Monitoring-Dashboards live, Incident- und Drift-Management.
  • Review gegen KPIs; Tuning von Regeln/Schwellen; Automatisierung von Retrainings, wenn sinnvoll.
  • Skalierungsplan: Wiederverwendbare Bausteine (Komponenten, Templates), Center of Excellence, Betriebsmodell (RACI), FinOps/GreenOps für KI-Ressourcen.

Ergebnis nach 90 Tagen: Mindestens ein produktiver End-to-End-Flow (Hybrid, wo sinnvoll), messbarer Business-Impact, definierte Governance-Artefakte und ein skalierbares Betriebsmodell.

Typische Fallstricke – und wie Sie sie vermeiden

  • Over-Engineering
    • Zu frühe KI, wo Regeln genügen. Gegenmaßnahme: Mit dem einfachsten Modell/Regelwerk starten, Komplexität inkrementell erhöhen.
  • Fehlende Datenqualität
    • Schlechte Stammdaten ruinieren jeden Algorithmus. Gegenmaßnahme: Data Ownership, DQ-SLAs, Validierungen in Pipelines und an UI.
  • Schatten-IT und Wildwuchs
    • Insellösungen ohne Governance. Gegenmaßnahme: Plattformstrategie, standardisierte Tools, zentrales Logging, Freigabeprozesse.
  • Vendor Lock-in
    • Einseitige Abhängigkeiten. Gegenmaßnahme: Architektur mit austauschbaren Komponenten, offene Schnittstellen, Portabilität prüfen.
  • Compliance-Lücken
    • Unvollständige Dokumentation/Logs. Gegenmaßnahme: „Compliance by Design“ mit Pflichtfeldern, automatischen Protokollen, Modellkarten.
  • Mangelnde Akzeptanz im Fachbereich
    • Unklare Verantwortungen, wenig Vertrauen. Gegenmaßnahme: Frühzeitiges Einbinden, transparente Erklärungen, HITL, klare KPIs.
  • Unterschätzter Betrieb
    • Kein Plan für Monitoring, Drift, Retraining, Bot-Wartung. Gegenmaßnahme: MLOps/AutomationOps, Runbooks, On-Call, Budgetierung.

Führung, Change Management und Training als Erfolgshebel

  • Sponsorship: Klare Vision, messbare Ziele, Blocker zügig heben.
  • Rollen und Befähigung: Product Owner, Process Owner, Data Stewards, KI-/RPA-Engineers mit definierten Verantwortungen.
  • Qualifizierung: Rollenbasierte Trainings (Fach, Risiko, Technik), regelmäßige Refreshes; Communities of Practice.
  • Kommunikation: Nutzen, Grenzen und Verantwortlichkeiten offen darlegen; Feedback-Schleifen etablieren.
  • Anreizsysteme: Ziele der Fachbereiche mit Automations-/KI-KPIs verknüpfen, Erfolge sichtbar machen.

Fazit: Richtig kombinieren statt entweder-oder

RPA und Workflow-Orchestrierung liefern schnelle, robuste Effizienzgewinne dort, wo Prozesse klar sind. KI entfaltet ihren Mehrwert, wenn Entscheidungen komplex, Daten unstrukturiert oder Muster nicht explizit regelbar sind. Der größte Hebel entsteht durch hybride Designs mit sauberer Governance: KI entscheidet nachvollziehbar, Automation setzt zuverlässig um, Menschen behalten die Kontrolle. Mit einem klaren Entscheidungsrahmen, messbaren KPIs, einer 90-Tage-Roadmap und verankerten Governance gemäß EU AI Act und ISO/IEC 42001 bauen Sie skalierbare Fähigkeiten auf – sicher, wirtschaftlich und zukunftsfähig.

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