Die Europäische Union arbeitet mit Hochdruck an ihrer ersten umfassenden Verordnung zur Regulierung Künstlicher Intelligenz (KI). Ziel ist es, Innovationen zu fördern und gleichzeitig Risiken zu minimieren. Ursprünglich sollte die Verordnung, auch „AI Act“ genannt, zügig wirksam werden. Doch die finale Verabschiedung verzögert sich, unter anderem weil technische Normen, konkrete Anforderungen an Basismodelle sowie ein verbindlicher Verhaltenskodex noch ausgearbeitet werden müssen. Mehrere Mitgliedstaaten, darunter auch solche aus der DACH-Region, fordern zudem längere Übergangsfristen oder gar eine Verschiebung einzelner Regelungsbestandteile – teils um bis zu zwei Jahre.
Für Unternehmen ergibt sich damit eine Phase der Unsicherheit: Welche Standards gelten künftig? Mit welchen Anforderungen müssen Entwickler und Anwender von KI-Systemen rechnen? Und wie gelingt es, auch unter regulatorischen Vorzeichen weiterhin innovativ und wettbewerbsfähig zu bleiben?
Aktueller Stand der EU-KI-Verordnung: Was Sie wissen müssen
Der Entwurf der EU-KI-Verordnung sieht ein risikobasiertes Regelwerk vor, das KI-Anwendungen je nach Gefährdungspotenzial in Kategorien einteilt. Hochrisiko-Anwendungen, etwa in der Gesundheitsversorgung oder im Personalwesen, sollen besonders strikte Anforderungen erfüllen – von der Datenqualität über Transparenz- und Dokumentationspflichten bis hin zu Governance-Strukturen.
Die aktuell noch offenen Fragen – beispielsweise zu technischen Normen (wie ISO 42001) oder zum Verhaltenskodex für Basismodelle – führen allerdings dazu, dass sich der finale Inkrafttretenszeitpunkt verschiebt. Unternehmen sollten daher flexibel bleiben und laufend die regulatorischen Entwicklungen verfolgen, um rechtzeitig reagieren zu können.
Herausforderungen für Unternehmen: Unsicherheit und Handlungsbedarf
Die verzögerte Verabschiedung der Verordnung schafft eine Grauzone, in der deutsche, österreichische und schweizerische Unternehmen strategische Entscheidungen treffen müssen, ohne die endgültigen Anforderungen zu kennen. Die größten Herausforderungen sind:
- Unsicherheit über technische und organisatorische Anforderungen: Es ist aktuell unklar, welche Nachweise, Dokumentationen und Auditierungen zukünftig notwendig sein werden.
- Unterschiedliche Übergangsfristen: Einzelne Regelungspunkte könnten zu unterschiedlichen Zeitpunkten greifen, was einen erhöhten Handlungsbedarf in puncto Compliance-Planung bedeutet.
- Risiko technologischer Investitionen: Investitionen in KI-Systeme und -Infrastrukturen müssen zukunftssicher und gleichzeitig regelkonform sein, obwohl das finale Regelwerk erst in der Entstehung ist.
Proaktiv handeln: So bereiten Sie Ihr Unternehmen vor
Trotz aller Unsicherheiten können mittelständische und große Unternehmen der DACH-Region schon jetzt wichtige Weichen stellen, um beim Inkrafttreten der Verordnung handlungsfähig und wettbewerbsstark zu sein:
- Frühe Bestandsaufnahme und Gap-Analyse: Verschaffen Sie sich Klarheit über die eingesetzten oder geplanten KI-Anwendungen und bewerten Sie diese entlang der zu erwartenden Risikokategorien der EU-KI-Verordnung.
- Aufbau einer KI-Governance: Etablieren Sie interne Strukturen für KI-Management, Verantwortlichkeiten und Kontrollmechanismen – idealerweise orientiert an bestehenden Standards wie ISO 42001.
- Datenmanagement professionalisieren: Setzen Sie auf Data Governance und prüfen Sie, ob Datenerhebung, -speicherung und -verarbeitung den (zu erwartenden) Anforderungen an Transparenz und Nachvollziehbarkeit genügen.
- Mitarbeiter:innen schulen: Sensibilisieren Sie Ihre Teams für KI-spezifische Compliance-Fragen und schaffen Sie eine Plattform für kontinuierlichen Wissensaufbau, etwa durch Workshops oder Schulungen.
Auswahl von KI-Technologien: Worauf Sie achten sollten
Die Entscheidung für bestimmte KI-Technologien und -Dienstleister sollte im aktuellen regulatorischen Umfeld besonders sorgfältig erfolgen. Achten Sie darauf, dass Technologiepartner:
- sich aktiv mit Compliance-Fragen auseinandersetzen,
- konforme Dokumentations- und Auditprozesse anbieten,
- transparent über ihre Trainingsdaten, Algorithmen und Modelle informieren
- und flexibel genug sind, um auf künftige regulatorische Anpassungen reagieren zu können.
Fordern Sie von Anbietern eine nachvollziehbare Zuordnung ihrer Lösungen zu möglichen Risikoklassen und lassen Sie sich geplante Maßnahmen zur Einhaltung der EU-KI-Verordnung detailliert erläutern.
Compliance-orientierter Fahrplan: Stufenweise zum Ziel
Erstellen Sie für Ihr Unternehmen einen mehrstufigen, anpassungsfähigen Compliance-Fahrplan:
- Phase 1: Analyse des Status Quo, Risikoabschätzung und erste Vorbereitungsmaßnahmen.
- Phase 2: Entwicklung und Implementierung von Governance-Strukturen, angepasst an den aktuellen regulatorischen Stand.
- Phase 3: Einführung von Prozessen zur kontinuierlichen Überwachung und Aktualisierung, sobald neue Vorgaben konkretisiert oder verabschiedet werden.
So bewahren Sie Flexibilität und Kontrolle – und minimieren das Risiko, am Ende der Übergangsfrist teure Anpassungen vornehmen zu müssen.
Innovation trotz Unsicherheit: Fortschritt aktiv gestalten
Regulatorische Unsicherheiten müssen Innovationen in Unternehmen nicht ausbremsen. Vielmehr bieten sie die Chance, Prozesse und Produkte von Beginn an verantwortungsbewusst, nachhaltig und zukunftssicher zu gestalten. Unternehmen der DACH-Region, die jetzt in nachhaltige KI-Strategien, Data Governance und Compliance investieren, können sich als verlässliche, innovative Partner positionieren.
- Schaffen Sie Freiräume für Pilotprojekte mit klaren Governance-Rahmen.
- Setzen Sie auf nachhaltige KI-Lösungen, die ökologische und gesellschaftliche Aspekte berücksichtigen.
- Nutzen Sie das Momentum für eine Unternehmenskultur, die ethische Verantwortung und Innovation verknüpft.
Fazit: Chancen erkennen, Weichen stellen
Die EU-KI-Verordnung wird den Rahmen für den künftigen Einsatz von Künstlicher Intelligenz wesentlich bestimmen. Trotz aller Verzögerungen und Unsicherheiten ist jetzt der Zeitpunkt, proaktiv zu handeln und die eigenen KI-Aktivitäten auf eine nachhaltige, regulatorisch abgesicherte Basis zu stellen. Unternehmen, die frühzeitig in Governance-Strukturen, Compliance-Management und qualifizierte Mitarbeitende investieren, sind bestens gerüstet, Innovation und Wertschöpfung erfolgreich zu verbinden – auch und gerade im Wandel.